Schon in unserem Jahresausblick für 2024 hatten wir die Wahlchancen von Trump und Biden mit 60 zu 40 beziffert. Und nach dem für Biden desaströsen ersten Fernsehduell haben sich dessen Wahlchancen eher noch verschlechtert. Es besteht natürlich immer noch die Möglichkeit, dass Biden Präsident bleibt, wenn die „blaue Mauer“ aus den nördlichen Swing States hält, doch sehr wahrscheinlich ist dies nicht. Vier Monate vor der Wahl heißt der Favorit Donald Trump.
Wie wir immer wieder betonen, investieren wir bei Antecedo nicht auf Basis von Prognosen. Deshalb gibt es von uns nie die Aussage, „das muss jetzt so kommen“. Die Zukunft ist offen und besteht aus einer Vielzahl möglicher Entwicklungen. Doch als Risikomanager, als den wir uns bei Antecedo primär sehen, suchen wir vor allem nach Risikoszenarien, die entgegen den allgemeinen Erwartungen doch eintreten können. Und ein solches Szenario, das vielleicht eine gar nicht so geringe Eintrittswahrscheinlichkeit hat, sehen wir in den wirtschaftlichen Plänen Donald Trumps. Dass die Börsen in einem Wahlsieg Trumps bisher keine Risiken sehen, liegt vermutlich an der historischen Erfahrung aus dessen erster Amtszeit. Bei allen Skandalen und erratischen Entscheidungen war diese Zeit nicht schlecht für die Kapitalmärkte. Vor allem wenn man bedenkt, dass auch die Coronakrise in diese Amtszeit fiel. Die erste Graphik zeigt die Entwicklung der amerikanischen Aktienmärkte von Trumps Wahl am 08.11.2016 bis zur Abwahl am 03.11.2020. Zum Vergleich haben wir hierzu, auf der gleichen Zeitachse also tatsächlich zeitversetzt, die Wertentwicklung der Aktienindizes seit der Wahl Bidens bis zum aktuellen Rand mit angegeben.
Doch so beruhigend dies auf den ersten Blick aussieht, so anders als 2016 ist die Situation heute. Damals war Trump, vermutlich auch für ihn selbst, überraschend in das Amt gekommen. Er benötigte lange Zeit, um neben seinen Lieblingsprojekten (Grenzmauer zu Mexiko, Abschaffung Obamacare, Austritt aus dem Klimaabkommen, Senkung der Unternehmenssteuern) weitere Themenkreise anzugehen, wobei die meisten Initiativen sich im parlamentarischen Verfahren festfuhren. Auch weil die Republikaner in den Zwischenwahlen 2018 die Mehrheit im Repräsentantenhaus schon wieder verloren. Dabei war die gesamte Amtszeit geprägt von extrem häufigen Personalwechseln.
Am Ende des ersten Amtsjahres hatten 34 % der von Trump eingesetzten Führungspersonen ihre Posten bereits wieder verlassen. Heute dagegen wird seine erneute Amtsübernahme generalstabsmäßig vorbereitet. Dabei stützt sich Trump auf isolationistische oder evangelikale Kreise, die eigentlich nicht zu seiner Kernanhängerschaft gehören und die zuerst einmal die Ablehnung des „woken“ Amerikas, mit allen seinen Auswüchsen, eint. Dabei ist Trump jetzt nicht mehr der Einzelkämpfer an der Spitze einer Protestbewegung, sondern zumindest verbunden mit den Ideen ultra-konservativer Interessengruppen, die nur mit Trump zusammen auf eine Mehrheit hoffen können. Und diese Mehrheiten betreffen in den kommenden Wahlen nicht nur das Präsidentenamt. Denn nach derzeitigen Meinungsumfragen ist es sehr wahrscheinlich, dass die Republikaner sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat eine Mehrheit haben werden. Und diese geballte Macht, mit einem obersten Gerichtshof, der schon jetzt überwiegend republikanisch besetzt ist, soll genutzt werden, um zügig Amerika nach den Vorstellungen der mit Trump verbundenen Gruppen umzubauen, bevor in den nächsten Zwischenwahlen, im November 2026, vielleicht wieder eine Parlamentskammer verloren geht. Auf der Internetseite https://www.project2025.org und den weiterführenden Links kann man die hierfür bereitstehenden Pläne nachlesen. Trump selber ist hier vielleicht noch der bremsende Faktor. Denn es ist beispielsweise kaum anzunehmen, dass dem dreifach geschiedenen, in diverse Sexskandale verwickelten Expräsidenten das Abtreibungsverbot ein echtes Herzensanliegen ist. Trump macht, was für Trump gut ist. Und er hat mehrfach gezeigt, dass er Projekte auch fallen lässt, wenn sie ihm nicht nutzen. Deshalb ist es nicht genau vorhersagbar, was wirklich von der weitreichenden Agenda des Projektes 2025 umgesetzt wird. Doch einige Punkte, die Trump selber immer betont, werden im Falle seines Wahlsieges mit hoher Wahrscheinlichkeit angegangen werden. Auf diese greifbaren Fakten wollen wir unsere folgenden Analysen beschränken.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit erwarten wir im Falle von Trumps Wahlsieg die folgenden Maßnahmen:
- Ausstieg aus dem Klimaschutzabkommen und Streichung der Gelder für den Green Deal
- Ausweitung der Förderung fossiler Energieträger
- Verhängung von Zöllen auf Importgüter aus Ländern, die kein Freihandelsabkommen mit den USA haben
- Bevorzugung amerikanischer Anbieter bei öffentlichen Aufträgen
- Einschränkung auch bisher legaler Migration
- Rückführung illegal eingewanderter Personen
- Steuersenkungen für Personen und Unternehmen und eventuell Einführung einer 15% Kapitalertragssteuer
- Massive Vergrößerung des amerikanischen Atomwaffenarsenals unter Aufkündigung bisheriger Abrüstungsvereinbarungen.
Entsprechend konservativer Think Tanks ist atomare Abschreckung die billigste und sicherste
Form der amerikanischen Verteidigungspolitik
Aus europäischer Sicht wirkt dieser Katalog extrem und doch ist vieles davon in den USA mehrheitsfähig. Unsere Aufgabe
ist es nicht, hier anderen Ländern Wahlempfehlungen zu geben, sondern uns ökonomisch mit den Auswirkungen
solcher Programme zu beschäftigen. Hierzu müssen wir zunächst einen Blick werfen auf die aktuelle Ausgangssituation
und nach Unterschieden zu den Gegebenheiten während Trumps erster Präsidentschaft suchen.
Aktuelle Lage im Vergleich mit 2016
Vergleicht man die reinen Wirtschaftsdaten zur Zeit von Trumps erstem Wahlsieg und heute, dann fällt auf, dass heute alle Preis- und Zinsfaktoren ein ganz anderes Bild aufzeigen als damals. Auch wenn 2016 schon acht Jahre hinter der Finanzkrise von 2008 lag, so waren doch noch die Auswirkungen zu spüren und der Arbeitsmarkt hatte sich erst zu diesem Zeitpunkt wirklich erholt. Die Inflation war lange noch kein Thema und die Fed hatte 2016 erstmals wieder die Zinsen erhöht, um dies mit kleinen Schritten in den nächsten Jahren (bis zur Coronakrise) fortzusetzen, was allerdings jedes Mal die Empörung von Donald Trump hervorrief, der hier klar eine Verschwörung gegen seine Wirtschaftspolitik erkannte. Heute dagegen sind die Preisanstiege und damit die Zinsen eine der wichtigsten ökonomischen Themen. Dieses Thema ist so wichtig, dass auch die große Unbeliebtheit des amtierenden Präsidenten Joe Biden mit auf dieses Thema zurück zu führen ist. Durch die Inflation empfinden viele Amerikaner, dass es ihnen heute schlechter als vor vier Jahren geht.
Den Vergleich der wichtigsten Wirtschaftsdaten damals und heute zeigt die nächste Tabelle:
Weshalb kann bei Trump die Inflation gefährlich werden?
Wenn wir die zu erwartenden Maßnahmen einer Trump Regierung betrachten, dann weisen sie ökonomisch in eine Richtung. Verringerung des Arbeitsangebots durch Abschottung und Stimulierung der Wirtschaft durch niedrigere Steuern. Dazu noch Schutz vor ausländischer Konkurrenz, was dem Preiserhöhungsspielraum der Unternehmen zu Gutekommen sollte. Wenn man noch bedenkt, dass diese Maßnahmen jetzt auf einen schon angespannten Arbeitsmarkt treffen, dann stellt sich automatisch die Frage, was dies für die Lohnkosten und damit letztendlich für die Inflation, die Zinsen und den US-Dollar bedeutet. Den Zusammenhang zwischen der Verfügbarkeit von Arbeitskräften und Preisanstiegen wollen wir im Folgenden näher betrachten. Die nächste Graphik zeigt als blaue Punkte die monatlichen Kombinationen aus Arbeitslosenquote (x- Achse) und Inflationsrate (y-Achse). Dazu als rote Linie die Trendgerade durch den Ereignisraum.
Was man schon auf den ersten Blick gut erkennt, ist, dass die richtig hohen Inflationsraten auch nur bei niedrigen Arbeitslosenzahlen zustande kommen. Doch einen deterministischen Zusammenhang gibt es nicht. Dafür ist die Schwankung um die Trendlinie zu hoch. Um hier zu besseren Aussagen zu kommen, wollen wir in einem zweiten Schritt betrachten, welche Auswirkungen niedrige Arbeitslosigkeit auf die Verteilung der dann möglichen Inflationsraten haben. Die folgende Graphik zeigt die prozentuale Verteilung der Inflationsraten über den gesamten Beobachtungszeitraum von 33 Jahren.
Diese Verteilung der Inflationsraten ist annähernd symmetrisch mit leichter Rechtsverschiebung. Auf dieser Datenbasis könnte man mit hinreichender Bestimmtheit eine Normalverteilungsannahme noch akzeptieren. In einem weiteren Schritt haben wir jetzt die Verteilung bestimmt mit der Prämisse, dass wir nur Realisationen betrachtet haben, bei denen die Arbeitslosenquote 4,1% oder niedriger lag. Diese bedingte Verteilung (rote Säulen) haben wir der ursprünglichen Verteilung (blaue Säulen) gegenübergestellt.
Neben einer Mittelwertverschiebung der roten Verteilung ist hier bemerkenswert, dass diese nicht mehr symmetrisch ist, sondern stark Rechtsschief. In der ökonomischen Interpretation bedeutet dies, dass bei solchen Voraussetzungen niedrige Inflationsraten unterhalb der Zielinflation der Notenbank von 2 Prozent kaum noch vorkommen und über einen längeren Zeitraum fast sicher nicht zu erwarten sind. Stattdessen ist die Wahrscheinlichkeit stark gestiegen, dass es zu deutlichen Ausbrüchen der Inflationsrate nach oben kommt, wenn fortwährend eine Wirtschaftspolitik betrieben würde, die vor allem auf die Steigerung der Wirtschaftsleistung abzielt. Genau hier liegt das Inflationsrisiko der geplanten Trumpschen Wirtschaftspolitik. Wenn man mit Abschottung und Stimulierung der eigenen Wirtschaft Wohlstand schaffen will und gleichzeitig aber auf eine Situation trifft, in der der Arbeitsmarkt schon angespannt ist, dann muss sich dieser wirtschaftliche Druck irgendwohin entladen. Sollte es nicht zu einer Rezession, aus welchem Grund auch immer, kommen, die die Gütermärkte entspannt, dann bleibt fast nur noch die Preisentwicklung. Man kann hier entgegnen, dass einem solchen Szenario in den USA immer noch die unabhängige Notenbank entgegensteht, die anziehende Inflation mit steigenden Zinsen bekämpfen würde.
Ob eine solche Kombination der bedeutendsten Institutionen, die Regierung, die mit aller Kraft den Arbeitsmarkt anschiebt und die Notenbank, die diese Effekte direkt wieder neutralisieren will, dauerhaft haltbar wäre, ist zumindest Zweifelhaft. Besonders wenn man bedenkt, dass im Mai 2026 die Amtszeit des derzeitigen Vorsitzenden der Notenbank Jerome Powell endet. Dessen Posten könnte dann Trump, mit einem sicher großartigen Kandidaten, neu besetzen. Käme es zu der Situation, dass sich die Notenbank freiwillig den politischen Wünschen der Regierung unterordnet, dann wären der Inflation erst recht alle Türen geöffnet. Wohin ein solcher Weg die Wirtschaftsentwicklung und Preise führen würde? Kaum vorherzusagen. Doch wir können hier als Analogie zumindest ein Beispiel aus einem Land diesseits des Atlantiks anführen, in dem auch nationale Größe und Wohlstand auf Präsidentengeheis gesteigert werden sollten.
Der Feind der Zinsen
Das Land, von dem ich spreche, ist natürlich die Türkei mit seinem Präsidenten Recep Erdogan. Dieser hatte als Ministerpräsident beträchtliche Erfolge durch Liberalisierung der Wirtschaft und zunehmende Bautätigkeit erzielt. Ab Juni 2018 führte er in der Türkei, nach einer Volksabstimmung, ein Präsidialsystem ein, das er als Präsident anführt. Ab diesem Juni 2018 beginnt unsere folgende Betrachtung. Denn jetzt stand nicht nur die eigentliche Wirtschaftsentwicklung, sondern auch die Wiederkehr zu nationaler Größe in der Tradition des Osmanischen Reiches im Vordergrund. Um diese Ziele zu erreichen, setzte Erdogan auf staatliche Investitionen, eine verbesserte Exportfähigkeit durch eine schwache Währung und eine laxe Geldpolitik. Er selbst erklärte sich zum „Feind der Zinsen“, da gerade hohe Zinsen die Inflation anfeuern würden. Die Türkei erreichte in den vergangenen Jahren ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von über 5 Prozent p.a. Heute nimmt die Türkei den 18. Platz unter den größten Volkswirtschaften der Welt ein, zwischen den Niederlanden und Saudi-Arabien. Trotz Bevölkerungswachstums konnte die Arbeitslosigkeit leicht gesenkt werden, da ca. 4 Mio. neue Stellen geschaffen wurden.
Die andere Seite dieser Wirtschaftspolitik hieß Inflation. Zwischen Juni 2016 und heute liegt die durchschnittliche Inflationsrate bei 29,6 Prozent p.a., mit annualisierten Werten von über 80 Prozent in 2022 und aktuell auch wieder über 70 Prozent. Solch hohe Inflationsraten konnte auch Erdogan nicht mehr ignorieren, weshalb er nach der nächsten gewonnenen Präsidentschaftswahl 2023 den Kurs ändern ließ. Heute bekämpft die türkische Notenbank die Inflation mit Zinssätzen von über 50 Prozent. Welche Auswirkungen das auf die türkische Entwicklung hat, wird sich noch entscheiden müssen. Natürlich sind die USA alleine von ihrer Größe her nicht direkt mit der Türkei zu vergleichen und solche Inflationsdaten wird wohl auch Trump nicht schaffen. Aber der Sinn solcher Vergleiche ist nicht eine Punktprognose, sondern lediglich, Tendenzen auf zu zeigen. Und diese können wir erkennen. Für uns als Asset Manager war in diesem Vergleich aber auch die Frage interessant, wie sich der Anleger bei einer solchen Entwicklung verhalten sollte. Dass bei hohen Inflationsraten Anleihen und andere Nominalwerte Probleme bekommen, liegt auf der Hand. Aber wie sieht es mit den Aktien aus? Aktien sind Sachwerte, deren Gewinnentwicklung sich aus der nominalen Wirtschaftsentwicklung (reales Wachstum + Preisanstieg) speist. Erst steigende Zinsen sind hier die eigentliche Bremse der Kursentwicklung. Und da in der Türkei die Inflation lange ignoriert wurde und die Zinsen niedrig blieben, ergab sich für den türkischen Aktienmarkt eine beeindruckende Entwicklung.
Die folgende Graphik zeigt den Anstieg des Istanbuler Aktienindex (weiße Linie) seit dem 22.06.2018 als weiße Linie, mit einem durchschnittlichen jährlichen Kursanstieg von 54%.
Bei diesem beeindruckenden Durchschnittswert muss man aber bedenken, dass der Kursverfall der türkischen Währung die Ergebnisse eines ausländischen Anlegers massiv geschmälert hätte. Die orange Linie in der vorangegangenen Graphik zeigt das Ergebnis des Istanbuler Aktienmarktes nach Umrechnung in EUR. Hier bleiben von den 54 Prozent p.a. nur noch 12,96 Prozent p.a. übrig. Die Differenz ist der Währungsverlust, der sich in der Graphik als Unterschied zwischen der weißen und der orangen Linie ergibt. Doch so schlecht wären diese 12,96 Prozent währungsbereinigt auch nicht gewesen. Denn zum Vergleich als dünne gelbe Linie hat der EuroStoxx 50 nur 9,67 Prozent p.a. im selben Zeitraum zulegen können. Doch auch dieser Vergleich hinkt noch.
Denn die gefährlichste Phase, der hier beschriebenen Inflationsentwicklung, liegt noch vor der türkischen Wirtschaft und vielleicht auch, viel weiter in der Zukunft, auch vor der amerikanischen. Dies ist die Phase, in der die Geldpolitik versucht, die Inflationsentwicklung wieder einzufangen. Den USA ist dies in den letzten Jahren weitgehend gelungen. Es gibt aber genügend Beispiele aus der Vergangenheit, wo eine solches Abbremsen in Rezession und Crash endeten. Aus meiner Sicht ist Wirtschaftspolitik, wie das Steuern eines Kanus im Wildwasser. Wer meint dort mit einem Schlachtschiff durchfahren zu können, läuft Gefahr schnell auf Grund zu laufen. Und diese Fälle sind es, auf die man als Risikomanager vorbereitet sein muss. Auch dann, wenn man hofft, dass sie nicht eintreten.
Kay-Peter Tönnes
Bad Homburg v.d.H., den 12.07.2024